Eingefahrene Wege

(Eine Abhandlung über die Entwicklung neuer Klangsynthesizer von Hagen Grabowski)

 

Die ersten monophonen Musiksynthesizer wurden in den 60er Jahren für Studiozwecke entwickelt und hergestellt. In den 1970er Jahren gab es eine große Anzahl von Herstellern und Modellen, vor Allem von kompakten und für die Bühne tauglichen Synthesizern. Gemessen an der Vielzahl von Synthies, die damals auf dem Markt waren, sind auf Schallplatten verewigte musikalisch wertvolle Klangerlebnisse, bis auf wenige Ausnahmen, eher die Ausnahme geblieben. Oftmals sind Synthesizersounds auch gar nicht gleich als Solche erkennbar, weil sie eher im Bassbereich oder als Imitation von herkömmlichen Instrumenten eingesetzt wurden. Die heutzutage so hoch bewertete Filterresonanz und eher trockene Sounds spielten in den 70er Jahren eine untergeordnete Rolle.

Bei näherer Betrachtung des Aufbaus fast aller industriell hergestellten Analogsynthesizer fällt dem Schaltungstechniker auf, daß es relativ wenige Unterschiede im prinzipiellen Aufbau gab und klangliche Unterschiede fast immer nur durch Variation der Filterschaltungen hörbar sind.

Modelle mit nur 1 x VCO, einige davon sogar mit Frequenzteilern für die Oktavumschaltung ausgestattet, hatten einen speziellen, recht dünnen Klang und wurden damals von einigen Musikern auch als "Quitscher" bezeichnet. Manche dieser Quitscher standen als Zusatzmanual auf einer elektronischen Heimorgel und paßten Auf Grund Ihres Aufbaus dort wohl auch am besten hin.

Die allermeisten Firmen, die damals Synthesizer herstellten existieren gegenwärtig nicht mehr.

Es gab aus meiner Sicht keine Firma, die nach der Einführung der ersten polyphonen Synthesizer noch bahnbrechend Innovatives im Bereich analoge monophone Synthies auf den Markt brachte.

Im Gegensatz zu vielen klassischen Instrumenten wurde der analoge Musiksynthesizer klanglich nicht mehr wesentlich weiterentwickelt. Statt dessen wurde zunächst die Klangspeicherung und Tastaturabfrage und später auch die Klangerzeugung vollständig digitalisiert.

Bis in die heutige Zeit findet man kaum einen industriell gefertigten analogen Synthesizer, dessen Grundstruktur von den eingefahrenen Wegen der Klassiker abweicht. Das Ergebnis ist aus klanglicher Sicht dem entsprechend. Eine Ursache hierfür mag sein, dass es entweder zu wenig Nachfrage gibt oder dass nur produziert wird, was sich ab einer bestimmten Stückzahl einfach gut verkaufen lässt. Der relativ hohe Marktanteil an virtuellen Synthesizern mit Miniaturtastaturen lässt jedenfalls darauf schließen, dass die Industrie nicht alle Zielgruppen als Kunden ausgewählt hat.

Aus schaltungstechnischer Sicht ist es sehr unverständlich, warum sich in fast allen Synthesizern viel zu wenige LFOs befinden, obwohl Diese für nur wenige Cents realisierbar sind. Auch ist es unverständlich, warum die Anzahl der VCOs je Stimme nie mehr als 3 war und warum zu jeder Stimme immer nur 1 VCF und 1 VCA gehörte. Niemand hat je einen Synthesizer mit Zugriegeln auf den Markt gebracht, wobei jeder Zugriegel neben Grundtönen auch Obertöne mischbar bereithielt, die jeder für sich einen dynamischen Klangverlauf möglich machen konnte. Es gab immer die strikte Trennung zwischen additiver und substaktiver Klangsynthese, doch keine mir bekannte Mischform.

Wenn man heutzutage über den Aufstieg und Fall der elektronischen Heimorgeln nachdenkt, wird einem schwindelig bei der Betrachtung der unglaublich hohen Hardwareaufwandes, der in größeren Modellen einst betrieben wurde. Da jedoch die Grundidee aller elektronischen Orgeln auf dem Frequenzteilerprinzip beruhte, das phasenstarre Oktavabstände generierte, deren musikalische Qualität oftmals mit Eimerkettenschaltungen oder Leslies aufgebessert wurde, war spätestens nach den ersten Computerorgeln und Synthesizern erkennbar, dass das Ende der Orgelära eingeläutet war.

Was übrig bleibt ist bestenfalls Musikgeschichte oder die Internetseite des einen oder anderen Liebhabers und Sammlers. Viel Wissen, wie auch diverse Schaltpläne von Orgeln werden der Nachwelt wohl nicht mehr zur Verfügung stehen, weil Firmen damals im Direktvertrieb an Kunden lieferten oder es kaum Servicewerkstätten gab.

Mit der Einführung der Digitaltechnik in Synthesizern wurde einerseits ein riesiger Markt für Musiker und Laien eröffnet, andererseits verschwand mit den analogen Synthesizern zunehmend die Möglichkeit, klangliche Individualität auf Grund nicht vorgegebener Sounds zu erreichen. Man brauchte nur noch eine Taste drücken und schon war ein neuer Sound da. Wer machte sich schon die Mühe, in Menüs und Untermenüs Parameter zu editieren, von denen man manchmal überhaupt nicht wusste, was sich dahinter eigentlich verbarg. Nachdem die Speicherbatterie dann irgendwann plötzlich leer war, musste man bei vielen Digitalsynthesizern hoffen, dass es noch irgendwo einen Service gibt. Oftmals hieß es dann: "Der Support wurde eingestellt". Synthesizer mit der Schnelllebigkeit einer Computergeneration mögen demnach gut für das Geschäft sein. Sie taugen jedoch wenig für den Klangkünstler oder Komponisten, denn Künstler lieben Unabhängigkeit und sind oftmals auch noch recht konservativ und stur, wenn es um Abhängigkeiten geht.

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